Wenn eine Frau den Entschluss fasst, ins Frauenhaus zu gehen, dann hat sie in der Regel eine lange Zeit hinter sich, in der sie in ihrer Partnerschaft Gewalterfahrungen erlebt hat – psychisch, physisch oder auch sexuell. Eine Veränderung der häuslichen Situation, in der sie nicht selten geschlagen und beschimpft wurden, kostet viel Energie und auch Mut. Allein die Kontaktaufnahme zum Frauenhaus ist mit Risiken verbunden, da diese Frauen häufig unter sehr starker Kontrolle des Mannes stehen und auch die begründete Angst haben, dass der aggressive Partner eskaliert, sobald er mitbekommt, dass die Frau sich von ihm trennen will. Brigitte Machnitzke kümmert sich im Verein „Frauen für Frauen“ in Wächtersbach seit 1992 um das Frauenhaus, Lea Kircher seit 2016. Beide wissen, wie schwer es für diese Frauen ist, den Weg in diese Schutzeinrichtung und in ein selbstbestimmtes Leben ohne Gewalt zu finden. Im Frauenhaus Wächtersbach wurden zwischen 1992 und 2023 insgesamt 1378 Frauen und 1478 Kinder aufgenommen – der Bedarf ist trotz vergrößerter Raumkapazitäten kontinuierlich gestiegen. Die Frauenhäuser sind auf Unterstützung und Spenden angewiesen. Der jährlich stattfindende Stadtlauf Hanau macht auf die Situation der Frauenhäuser und die Thematik Gewalt gegen Frauen aufmerksam. Die Teilnahme am Stadtlauf unterstützt direkt die Arbeit in den Frauenhäusern. Darauf machen die beiden Schirmherren Oberbürgermeister Claus Kaminsky und Landrat Thorsten Stolz aufmerksam. Im Interview berichten Brigitte Machnitzke und Lea Kircher über die Situation der Betroffenen in den ersten Wochen im Frauenhaus.
Frage: Sie begleiten seit vielen Jahren die Frauen und Kinder im Frauenhaus Wächtersbach.
Können Sie beschreiben, in welcher Verfassung die Frauen bei Ihnen ankommen?
Brigitte Machnitzke: Die emotionale Verfassung der Frauen und Kinder ist sehr unterschiedlich, wenn sie zu uns kommen und richtet sich oft danach, auf welchen Wegen sie ins Haus kommen. Wenn der Schritt schon länger geplant wurde, überwiegt häufig die Erleichterung und das Gefühl, in Sicherheit zu sein. Kommen die Frauen in einer akuten Krisensituation, herrschen oft andere Gefühle vor: Verzweiflung, Unsicherheit, Sprachlosigkeit, Wut und vieles mehr. Aber jeder Fall ist so individuell, dass man die Frage pauschal nicht beantworten kann. Mitunter haben wir auch Frauen, die sich von körperlichen Angriffen erholen müssen. Es können also sichtbare und nicht sichtbare seelische Wunden da sein, die heilen müssen. Das dauert seine Zeit.
Wie entwickelt sich das weiter? Wie lange brauchen die Frauen im Schnitt, bis sie begreifen, dass sich ihr Leben nun zum Besseren wenden kann?
Lea Kircher: Die ersten Wochen im Frauenhaus sind die turbulentesten und mit sehr viel Bürokratie und Organisation verbunden: Die Frauen müssen sich anmelden, Auskunftssperre bei den
Einwohnermeldeämtern beantragen, sie müssen Anträge zur finanziellen Absicherung stellen. Wenn die Frauen Kinder haben, gilt es, Schule und Kindergarten zu organisieren, Anträge für
Kindergeld und Unterhaltsvorschuss zu stellen und häufig starten schnell die Gerichtsverfahren bezüglich des Umgangs- und Sorgerechts. Die Aussicht, dann womöglich wieder auf den
gewalttätigen Ex-Partner zu treffen, belastet viele der Frauen. Denn die Ungewissheit bleibt, ob hier mit weiteren Angriffen zu rechnen ist oder das Schlimmste nun endlich hinter ihnen liegt.
Brigitte Machnitzke: In dieser Zeit führen wir regelmäßige Beratungsgespräche und begleiten die Frauen auch bei den anstehenden Terminen. Das Gefühl der Sicherheit und Ruhe kann meist erst entstehen, wenn all diese bürokratischen Angelegenheiten geregelt sind. Es ist aber auch eine Zeit, in der die Frauen in anderer Hinsicht stark gefordert sind, denn das ist eine Phase, in der manche der Männer über die Kinder versuchen, weiterhin Kontrolle und Druck auf die Mutter auszuüben. Das ist keine leichte Situation.
Welche Hilfestellungen geben Sie den Frauen, bevor sie ins Frauenhaus kommen?
Brigitte Machnitzke: Wir informieren im Rahmen unserer Öffentlichkeitsarbeit über unsere Angebote und weitere Anlaufstellen. Flyer liegen zum Beispiel an vielen öffentlichen Plätzen,
Ämtern, Behörden, Arztpraxen aus, um den betroffenen Frauen Möglichkeiten aufzuzeigen. Wenn sich Frauen bei uns melden, bieten wir ihnen eine Beratung an oder unterstützen bei der Suche
nach einem Frauenhausplatz.
Wie sieht die Unterstützung aus, wenn die Frauen im Frauenhaus leben?
Lea Kircher: Neben der bereits angesprochenen Beratung und Begleitung bieten wir verschiedene Freizeitangebote an. Wir unternehmen gemeinsame Ausflüge mit den Frauen und Kindern, es gibt verschiedene Kreativangebote, die dabei helfen, das Erlebte zu verarbeiten. Aber es findet auch gemeinsames Kochen und wöchentlich eine Hausversammlung statt. Wir feiern mit den
Bewohnerinnen gemeinsam alle Feste, die bei ihnen anstehen.
Wie lange dauert es im Schnitt, bis Sie eine Veränderung in der Persönlichkeit der Frauen bemerken und wie macht sich das bemerkbar?
Brigitte Machnitzke: So individuell wie jede Geschichte der Frauen und Kinder ist, so individuell ist auch die Entwicklung von ihnen. Bei manchen geht das schneller als bei anderen. Generell können wir aber feststellen, dass die Frauen meist selbstbewusster auftreten, unabhängiger werden, die Herausforderungen als Alleinerziehende im Alltag tragen können und sich den Schritt in eine Ausbildung oder ins Berufsleben zutrauen.
Der Weg raus aus einer Beziehung, die durch Gewalt – ob nun psychisch oder psychisch – geprägt war, ist mitunter sehr lang. Welche Unterstützung brauchen die Frauen
in dieser Situation am dringendsten?
Lea Kircher: Wichtig wäre, dass die gesundheitliche Grundversorgung gewährleistet ist, was leider momentan sehr schwierig ist. Häufig haben die Ärzte keine Kapazitäten und die Wartelisten für
Therapieplätze sind sehr lang. Des Weiteren ist die Sicherstellung einer Kinderbetreuung oft nicht gewährleistet und die Perspektive auf eine eigene, bezahlbare Wohnung ist seit einigen Jahren eine große Herausforderung in unserer Arbeit.
Lea Kircher (links) und Brigitte Machnitzke (rechts) begleiten seit vielen Jahren Frauen und Kinder im Frauenhaus Wächtersbach.